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Häuser fotografieren mit Hausmacher-Mitteln

Architekturfotografie mit Kleinbildkamera und Shiftobjektiv


Benedikt Hotze (1999)

EUR, Rom. Foto: Benedikt Hotze 1999
Kamera: Nikon F3, Objektiv: Schneider Kreuznach 2,8/28mm PC Super-Angulon. Freihandaufnahme ohne Stativ



EUR, Rom. Foto: Benedikt Hotze 1999
Kamera: Nikon F3, Objektiv: Nikkor 2,5/105mm. Freihandaufnahme ohne Stativ



Im folgenden wird auseinandergelegt, was bei der Architekturfotografie mit "Hausmacher"-Mitteln - also Kleinbild-Shiftobjektiven - zu beachten ist. Nötig ist vorab der Hinweis, daß professionelle Architekturfotografen - also solche, die im engeren Sinne damit ihr Geld verdienen - nahezu ausnahmslos über vollverstellbare Fachkameras verfügen, mit der sie ihrem Auftraggeber verzerrungs- und verzeichnungsfreie Großformatdias liefern können. Der damit erreichbare, extrem hohe qualitative Standard färbt als Erwartungshaltung auf den Kleinbild- oder Mittelformat-Fotografen ab. Dennoch läßt sich auch mit diesen Filmformaten durchaus brauchbare Architekturfotografie realisieren; man sollte sich allerdings an den Gedanken gewöhnen, dazu eher teure und hochwertige Kameras und Objektive verwenden zu müssen.



Prolog im Zeitalter der Digitalfotografie

Die herkömmliche Fotografie auf chemischem Film ist eine Technik von gestern. Das heißt ausdrücklich nicht, daß es eine aussterbende Technik ist. Das heißt aber, daß jeder, der sich heute eine Fotoausrüstung anschafft, damit rechnen muß, sich schon bald in einer technologischen Nische wiederzufinden.

Nischen können durchaus komfortabel sein: Der klassische Rollfilm, der unter anderem Aufnahmen im ehedem sehr beliebten 6x6-Format ermöglicht, erscheint inzwischen am Markt wieder als konsolidiert. Die wichtigsten aktuellen Film-Emulsionen, vor allem solche mit "Profi"-Label, sind in größeren Fotogeschäften relativ problemlos auch im Rollfilm-Format erhältlich, und das wird auch so bleiben.

So wie dem Rollfilm wird es mittelfristig wohl auch dem gewohnten Kleinbildfilm ergehen. Er wird dann möglicherweise nicht mehr an jeder beliebigen Andenkenbude erhältlich sein - so wie heute schon Dia- oder gar Schwarzweiß-Fotografen etwas vorsorgen sollten.

Grund dafür wird keineswegs eine Verdrängung durch das sogenannte APS-Filmformat sein - diese Technik kann drei Jahre nach der Markteinführung getrost als Totgeburt beurteilt werden -, sondern vielmehr die zu erwartende massenhafte Digitalisierung. Die digitale Bildaufzeichnung wird sehr bald zu einem Massenphänomen werden und für viele Menschen das heute übliche Fotografieren mit chemischen Filmen ersetzen. Wer die Innovationszyklen in der Computertechnik kennt, kann unschwer prognostizieren, wann die Bildauflösung handelsüblicher Endverbraucher-Digitalkameras annähernd an die Qualität einer chemischen Bildaufzeichnung heranreichen wird. Eine Parallele gibt es längst - wenn auch technisch völlig anders hergeleitet - bei der Aufzeichnung bewegter Bilder: Niemand filmt mehr Familienaufnahmen mit einer Super-8-Kamera, dagegen sind (analoge) Videokameras heute eine Selbstverständlichkeit.

Trotzdem gibt es gute Gründe, Fotos weiterhin mit klassischen Kameras auf klassischem Film zu machen. Wahrscheinlich wird die digitale Revolution sogar zu einer begrüßenswerten Bereinigung des "Hardware"-Marktes für herkömmliche (Kleinbild-)Kameras führen: Überflüssige Spielereien werden voraussichtlich verschwinden. Eine gute Gelegenheit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wer sich mit dem Gedanken trägt, Architektur zu fotografieren, kann dies nur begrüßen, denn er wird nur das Wesentliche benötigen.

Im übrigen sind alle optischen Gesetzmäßigkeiten, die für die herkömmliche Fotografie gelten, auch für die digitale Bildaufzeichnung anwendbar.

Nachtrag 2004

Architekturfotografie mit Shiftobjektiven lässt sich natürlich auch mit digitalen Spiegelreflexkameras (D-SLRs) durchführen. Das zentrale Problem dabei ist aber, dass die Fläche des Aufnahmesensors der heute am Markt befindlichen D-SLRs kleiner ist als das Kleinbildformat. Somit ergibt sich für den Bildwinkel ein "Verlängerungsfaktor" von üblicherweise 1,5 der Brennweite. Das bedeutet: Ein Shiftobjektiv mit 28mm Brennweite erzeugt an der D-SLR einen Bildeindruck eines 42er - reichlich witzlos. Selbst das weitwinkligste Shiftobjektiv des Marktes, das 24er von Canon, kommt damit auf "nur" noch 36mm.
Das ist der wichtigste Grund, warum Architekturfotografie mit Shiftobjektiv bis auf weiteres auf analoge Kleinbildkameras angewiesen ist.

Ein weiterer Grund ist, dass die (oft vollmechanischen) Shiftobjektive der meisten Hersteller funktional nicht kompatibel mit vielen D-SLR-Kameras aus dem selben Hause sind.


Die zwei "V": Verzerrung und Verzeichnung

Zwei theoretische Begriffe sind für die Architekturfotografie von zentraler Bedeutung und müssen hier erläutert werden: Verzerrung und Verzeichnung.

Verzeichnung bedeutet, daß gerade Linien, insbesondere solche am Bildrand, gekrümmt dargestellt werden. Was bei Portraits als unkritisch gelten kann, ist in der Architekturfotografie unerwünscht und störend. Verzeichnung ist ein Bildfehler, der nicht durch Abblenden beseitigt werden kann - es ist ein Fehler des Objektivs. Für die Praxis heißt das, daß nur hochwertige, einwandfrei korrigierte Objektive mit fester Brennweite verwendet werden sollten. Daher sind (die ansonsten praktischen und beliebten) Zoom-Objektive mit variabler Brennweite für die Architekturfotografie nahezu generell auszuschließen, denn eine Korrektur-Rechnung kann nur für eine Brennweite, nicht jedoch für beliebig viele umgesetzt werden. Daran ändern leider auch neueste Glas-Technologien im Objektivbau nichts.

Zum zweiten muß man sich über die perspektivische Verzerrung im klaren sein. Verzerrung bedeutet, daß senkrechte Linien eines Gebäudes nicht senkrecht, sondern gekippt (meistens "stürzend") dargestellt werden. Verzerrung ist kein Objektivfehler, sondern ein Fotografen-Fehler. Mit jedem beliebigen Objektiv der Welt könnte Verzerrung vermieden werden, sofern man die Kamera waagerecht hält. Leider bekommt man mit dieser Methode oft sehr viel störenden Vordergrund, nicht aber die Spitze des Gebäudes aufs Bild. Die automatische Reaktion eines ungeübten Fotografen wäre also, die Kamera anzukippen, um "alles drauf" zu bekommen. Genau damit werden aber stürzende Linien erzeugt.

Um das zu vermeiden, gibt es vor allem für Kleinbildkameras sogenannte Shift-Objektive. Diese Objektive lassen sich durch einen Schraubmechanismus aus der optischen Achse derart verschieben (to shift), daß der gewünschte Ausschnitt ausgewählt werden kann, ohne daß stürzende Linien entstehen. Möglich wird dies durch einen größeren Bildkreis: Das Objektiv kann auf der Filmebene eine wesentlich größere Fläche einwandfrei auszeichnen als das reine Filmformat. Der Fotograf kann also durch die Verschiebung seines Objektivs auswählen, was er auf dem Bild haben möchte: Mehr Vordergrund - oder die Spitze des Gebäudes.
 
 

Shift-Objektive

Shiftobjektive für Kleinbildkameras (Kurzbezeichnung: PC, für perspective control) werden für die gängigsten Bajonettanschlüsse der bedeutenden Markenhersteller angeboten und kosten (in der empfehlenswerten Brennweite 28mm) zwischen zwei- und viertausend Mark.

Die beiden PC-Objektive von Schneider-Kreuznach (35 und 28mm) werden auf Wunsch mit Anschlüssen verschiedener Kamerahersteller ausgestattet. Die Shiftobjektive von Canon mit EOS-Bajonett-Anschluß (24, 45 und 90mm, leider kein 28er) haben zusätzlich noch einen sogenannten Tilt-Mechanismus, der eine Verschwenkung des Objektivs zugunsten einer unendlichen Schärfentiefe nach dem Scheimpflug-Gesetz ermöglicht - interessant in diesem Zusammenhang vor allem für Aufnahmen von Architekturmodellen.

Außerdem lassen sich über sogenannte Shift-Adapter des Münchener Kleinherstellers Herwig Zörkendörfer (http://www.zoerk.com) handelsübliche, starre Mittelformatobjektive zu Shiftobjektiven für das Kleinbildformat umrüsten. Ein Gewinn an Bildwinkel ist damit im Vergleich zum 28er Kleinbild-Shift allerdings nicht verbunden, denn dazu müßten Mittelformatobjektive mit einer Brennweite von unter 28 mm eingesetzt werden - die gibt es aber nicht.

Für Mittelformatkameras selbst ist das Shift-Objektiv-Angebot eher bescheiden - ein Grund dafür, daß sich das Mittelformat für die Architekturfotografie nur eingeschränkt eignet (Rollfilm-Rückteile für vollverstellbare Fachkameras sind damit natürlich nicht gemeint).

Bei der Entscheidung für ein Kamerasystem und eine Marke ist also zuerst zu klären, ob und - wenn ja - welche Shiftobjektive hierfür angeboten werden.

Bauartbedingt muß man beim Arbeiten mit Shiftobjektiven erhebliche Komforteinbußen in Kauf nehmen. So ist in der Regel weder ein Autofokus noch eine Belichtungsautomatik möglich, und bei der manuellen Nachführmessung durch das Objektiv ("TTL-Messung") muß das Shiftobjektiv immer in den Nullzustand zurückgeschraubt werden. Als eine der ganz wenigen Kameras erlaubt die Nikon F3  aufgrund der speziellen Konstruktion ihrer Belichtungsmessung eine halbwegs korrekte TTL-Messung auch bei verschobenem Shift-Objektiv.
 
 

Alles gerade?

Die Notwendigkeit, das Senkrecht-Stehen der Senkrechten beim Fotografieren optisch überprüfen zu müssen, zieht sehr hohe Anforderungen an die optische Qualität des Suchers einer Kamera nach sich. Die Sucher einfacherer Spiegelreflexkameras verzeichnen so stark, daß diese Kontrolle zum Glücksspiel wird: Man sieht am Bildrand statt gerader Linien nur Kurven - auch dann, wenn das Objektiv selbst verzeichnungsarm ist. Nur wenige hochwertige Kameras aus dem "Profi"-Marktsegment haben anständig korrigierte Sucher. Überdies müssen die Mattscheiben des Suchers auswechselbar sein, damit eine Scheibe mit Gitterteilung eingesetzt werden kann. Auch dies ist nur bei Kameras des gehobenen Marktsegments möglich.

Nun wird man sich lange darüber streiten können, ob stürzende Linien partout vermieden werden müssen. Viele perspektivische CAD-Simulationen von Architekten und Immobilienfirmen arbeiten heute bewußt damit - wohl um vermeintlichen Sehgewohnheiten architektonischer Laien entgegenzukommen. Gleichwohl gilt nach wie vor: Der orthogonale Riß, die senkrecht konstruierte Perspektive ist das Handwerkszeug des Architekten, und eine Architekturfotografie sollte sich dem tunlichst annähern.

Wenn man stürzende Linien auf einem Architekturfoto zuläßt, sollte dies eine freie Entscheidung im Interesse der Bildgestaltung sein und nicht durch eine ungeeignete Ausrüstung erzwungen werden.
 
 

Schneller oder schärfer?

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verwendung eines Stativs. Selbst bei Verschlußzeiten, die unter Fotografen als "sicher aus der Hand" zu meistern gelten, sollte ein Architekturfotograf nach Möglichkeit zum Stativ greifen - ein sichtbarer Schärfegewinn ist die Folge. Nun ist es eben aber in vielen Situationen einfach nicht möglich, ein Stativ aufzubauen. Zum Beispiel auf einer Exkursion mit einer größeren Gruppe: Dort hat man oft nur wenige Augenblicke bis zum "Schuß", bevor die lieben Kommilitonen oder Kollegen im Pulk ins Bildfeld laufen. Eine Kleinbildkamera mit Shiftobjektiv kann in den Händen eines routinierten Fotografen innerhalb von weniger als zehn Sekunden einsatzbereit sein. Ein Profi mit einer Fachkamera braucht dafür rund eine Viertelstunde, oft noch wesentlich mehr - weil er zwingend auf das Stativ angewiesen ist und jede Änderung des Bildauschnitts erst einen mühsamen Umbau des Stativs einschließlich der Ausrichtung nach Wasserwaage erforderlich macht.

Ein Kleinbildfotograf mit einer guten Sucheroptik kann bei Aufnahmen aus der Hand die horizontale Ausrichtung optisch schätzen und muß, sofern er viel Übung hat, Schiefstellungen von maximal einem Grad in Kauf nehmen. Das läßt sich entweder verschmerzen oder heute per digitaler Bildbearbeitung entzerren. Die durch solche Aus-der-Hand-Schüsse produzierte Unschärfe, insbesondere bei schlechten Lichtverhältnissen, muß er allerdings mit sich selbst ausmachen.
 
 

Checkliste für den Kauf von Kameras und Objektiven

- sind Shiftobjektiv(e) mit praxisgerechten Brennweiten (28mm und evtl. 24 und 35mm bei Kleinbild) für das betreffende System erhältlich?

- ist eine dauerhafte Lieferbarkeit dieser Kamera- und Objektivtypen gewährleistet? Werden sie voraussichtlich mit zukünftigen Systemen des Herstellers kompatibel sein?

- sind auswechselbare Suchermattscheiben mit Gitterteilung in der Kamera einsetzbar?

- ist ein hervorragender, verzeichnungsfreier Sucher vorhanden?

- ist eine manuelle (nichtautomatische) TTL-Belichtungsmessung und -übertragung ("Nachführmessung") bequem möglich?

- sind praxisgerechte Meß-Modi verfügbar (stark mittenbetonte Integralmessung, Spotmessung)?

- ist ein Stativ mit genormter Windung ansetzbar?

- ist das Gerät robust und wertig verarbeitet (Metallgehäuse, Metallbajonett)?

- ist die Stromversorgung unproblematisch (entweder vollmechanische Kamera oder zumindest gängiger, preiswerter Batterietyp)?

- ist das Objektiv verzeichnungsarm? (Zoom-Objektive eignen sich nicht!)
 
 

Für Puristen

Nach einer solchen Checkliste bleiben trotz eines großen Angebots auf dem Markt nur wenige Kleinbildkameras übrig, die sich für die Architekturfotografie eignen. Viele Ausstattungsmerkmale und Automatikfunktionen moderner Spiegelreflexkameras zielen auf die Bedürfnisse des Amateur-Massenmarktes und sind hier unnötig oder sogar störend. Einige Beispiele:

Sogenannte Belichtungsprogramme, mit deren Hilfe angeblich bestimmte fotografische Situationen wie "Portrait" oder "Landschaft" besonders gut gemeistert werden sollen, sind vollkommen irrelevant. Sie leisten nichts anderes, als die richtige Kombination von Zeit und Blende zu ermitteln und automatisch einzustellen - das kann jeder halbwegs geübte Fotograf besser auf herkömmlichem Wege manuell steuern.

Besonders tückisch ist eine Belichtungsmessung mit einer sogenannten Mehrfeld- oder Matrix-Charakteristik. Hierbei wird die Helligkeit des Motivs nicht über das ganze Bildformat gemittelt (Integralmessung) beziehungsweise nur ein bestimmter Punkt angemessen (Spotmessung), sondern es werden mehrere Punkte gleichzeitig angemessen und die Meßwerte dann durch einen kleinen Computer analysiert. Dieser vergleicht die Meßwerte mit einprogrammierten Vergleichssituationen und stellt dann eine als geeignet empfundene Belichtung fest. So soll der Computer zum Beispiel typische Gegenlichtsituationen erkennen und der drohenden Unterbelichtung, die bei kritikloser Übernahme des integral gemessenen Wertes entstünde, durch gezielte Überbelichtung entgegenwirken. Das Problem bei der Mehrfeldmessung ist jedoch, daß der Fotograf die Kriterien nicht mehr erfährt, nach denen der Apparat handelt. Manuelles Eingreifen nach Erfahrungswerten wird somit unmöglich, weil das Zustandekommen der Daten, die einer solchen Entscheidung zugrundeliegen, nicht mehr nachvollzogen werden kann. Einfacher gesagt: Der Fotograf weiß nicht, ob die Kamera schon selbständig eine nötige Korrektur vorgenommen hat oder ob diese noch vom Fotografen erwartet wird. Daher ist der Einsatz einer Mehrfeldmessung in der handwerklich ambitionierten Fotografie generell auszuschließen; es sei denn, es muß so schnell gehen, daß überlegte Korrekturen von vornherein nicht vorgesehen sind (Schnappschüsse, Sport).

Ein weiterer Streitpunkt ist der Autofocus (AF), also eine automatische Entfernungseinstellung des Objektivs. Shiftobjektive mit Autofokus gibt es nicht, und sie wären auch entbehrlich, weil bei Weitwinkelbrennweiten und relativ weit entfernten Motiven wie Gebäuden sowieso in vielen Fällen die "Unendlich"-Einstellung genügt. Gleichwohl dominieren Autofokus-Kameras und -objektive heute den Markt. Manuell zu fokussierende Kameras (MF) gibt es fast nur noch entweder als billige Einsteigergeräte oder, am anderen Ende der Skala, als teure Edelkameras. Neue Objektivkonstruktionen werden in der Regel nur noch als Autofokusmodelle auf den Markt gebracht - außer bei solchen Herstellern, die grundsätzlich keine Autofokussysteme anbieten. Dazu zählen Leica und Contax (Carl Zeiss). Bei Nikon und Pentax passen ältere MF-Objektive im Prinzip an neuere AF-Kameras und umgekehrt (wenn auch bei bestimmten Konstellationen mit Funktionseinschränkungen), bei den meisten anderen Herstellern sind AF- und MF-Geräte untereinander nicht kompatibel.

Klar sein muß: Alles, was "dran" ist, kann auch kaputt gehen. So steckt ein Autofokusobjektiv voller elektronischer Bauteile und ist überdies leichter, labiler gebaut (Kunststoff!). Nach einem Stoß oder Fall ist die Reparaturrechnung in der Regel höher als bei einem simplen, robusten MF-Objektiv. Wer seine "Architekturkamera" auch als problemlose Alltagsknipse verwenden will, sollte ruhig zu einem Autofokusmodell greifen, sofern die in der Checkliste genannten Kriterien eingehalten werden. Wer auf höchste Qualität des Geräts Wert legt, dem sei eine hochwertige, klassische MF-Kamera mit entsprechenden Objektiven empfohlen.

Eine Spiegelreflexkamera muß es allerdings zwingend sein. Eine mögliche Alternative im Sucherkamerabereich wie die legendäre Meßsucherkamera Leica M6 ist mit den dazugehörigen Objektiven zwar in der Verarbeitungsqualität und leider auch im Preis Weltspitze, eignet sich aber für die Architekturfotografie nur sehr begrenzt. Denn ein Shiftobjektiv gibt es dafür nicht - und es wäre bei dieser Konstruktion auch unsinnig. Eine Gitterteilung für den Sucher ist ebenfalls nicht vorgesehen.

Einen Vorteil haben Sucherkameras jedoch: Ihre Objektive sind in der Regel symmetrisch aufgebaut und damit verzeichnungsfrei. Nicht ohne Grund gibt es zum Contax G-System ein 16er-Hologon. Ein 16-mm-Objektiv, so es denn erhältlich ist, muß für eine Spiegelreflexkamera als Retrofocus-Objektiv gebaut sein - sichtbare Verzeichnungen sind nicht zu vermeiden.
 
 

Zur Praxis: Belichtung

Neben der Entfernungseinstellung, die ganz unmittelbar Einfluß auf den subjektiven Eindruck des Bildes hat, ist die Belichtungsmessung und -steuerung der entscheidende Einflußfaktor für das technische Gelingen eines Fotos. Noch bis in die sechziger Jahre hinein waren die damals üblichen Fotoapparate selten mit einem eingebauten Belichtungsmesser, geschweige denn mit einer vollautomatischen Belichtungssteuerung ausgerüstet. Ein separater Handbelichtungsmesser war damals selbstverständlich - wenn man sich nicht gar auf Schätzwerte verließ.

Die notwendige Sorgfalt bei der Belichtung ist abhängig vom verwendeten Filmtyp: Ein Schwarzweiß-Negativfilm ist gutmütig und verkraftet im Notfalle auch deutliche Über- oder Unterbelichtungen um zwei Stufen nach oben und unten. Ein Farbnegativfilm - das heute den Markt dominierende Material - steckt Fehlbelichtungen ebenfalls recht gut weg, vor allen Dingen Überbelichtungen. Bei beiden Filmtypen lassen sich Fehler, zumindest theoretisch, im Labor (oder am Scanner) in gewissem Grade in Handarbeit ausbügeln. Von Massenlaboren mit vollautomatischen Printern sollte man solche Kompensationsleistungen allerdings nicht erwarten.

Ein Farb-Diafilm dagegen (Schwarzweiß-Diafilme werden bis auf eine Ausnahme nicht angeboten) ist auf eine äußerst exakte Belichtung angewiesen; er verkraftet Fehlbelichtungen nur um etwa eine drittel Blendenstufe.
 

Blende und Zeit

Zwei Parameter beim Fotografieren haben Einfluß auf die Belichtungssteuerung: die Blende und die Verschlußzeit. Jede noch so fortschrittliche Automatik tut nichts anderes, als diese beiden Größen auszuwählen und gegebenenfalls miteinander in Beziehung zu setzen. Kameras mit klassischem Bedienungskonzept, an denen Blende und Zeit direkt und eindeutig beeinflußt werden können, sind solchen vorzuziehen, die dies nur mit komplizierten Menüsteuerungen oder gar überhaupt nicht erlauben.

Beide Größen haben im Prinzip die gleiche Wirkung: Sie bestimmen, wieviel Licht auf den Film kommt. Eine große Blende (kleine Ziffer) läßt viel Licht durch, eine kurze Zeit (hohe Ziffer, eigentlich der Nenner einer Bruchzahl) läßt wenig Licht durch. Seit Jahrzehnten gelten Konventionen, nach denen eine Blendenstufe bzw. eine Zeitstufe genau einer Verdoppelung bzw. einer Halbierung der Lichtmenge entsprechen. Die übliche Blendenreihe lautet (von sehr viel Licht nach sehr wenig Licht): 1 - 1,4 - 2,0 - 2,8 - 4 - 5,6 - 8 - 11 - 16 - 22 - 32 - 64. Jede Stufe steht für eine Halbierung der Lichtmenge. Der Zahlenwert der nächsthöheren Stufe ergibt sich durch die Multiplikation des vorangegangenen Wertes mit Wurzel 2 (1,4142136). Die Zeitskala ist (mit geringfügigen Rundungen) linear aufgebaut und lautet: 8 sec - 4 sec - 2 sec - 1 sec - 2 - 4 - 8 - 15 - 30 - 60 - 125 - 250 - 500 - 1000 - 2000 - 4000 - 8000. Dabei stehen die ganzen Zahlen eigentlich für Bruchwerte von einer Sekunde. "125" bedeutet 1/125 sec. Auch hier bewirkt jede Stufe eine Halbierung. In Kombination miteinander eingesetzt, ergibt zum Beispiel eine Einstellung mit Blende 4 und 1/250 sec. die selbe Belichtung wie Blende 11 und 1/30 sec. Auch die heute üblichen Filmempfindlichkeitsangaben in "ISO" (früher "ASA") stehen für ganze Stufen: Ein 100er Film ist halb so lichtstark wie ein 200er. Die alten deutschen "DIN"-Angaben lassen sich gut umrechnen: jeweils 3 DIN stehen für eine Stufe. 100 ISO sind 21 DIN, 200 ISO sind 24 DIN, 400 ISO sind 27 DIN usw.

Jeder Fotograf weiß, warum die beiden wechselseitig voneinander abhängigen Größen Blende und Zeit zur Auswahl angeboten werden: Damit läßt sich gestalten. Eine große Blende bedeutet geringe Schärfentiefe (alles vor und hinter dem Motiv ist unscharf), eine kleine Blende bedeutet hohe Schärfentiefe (alles von vorne bis hinten ist scharf). Eine lange Zeit bedeutet Verwacklungsgefahr, eine kurze Zeit bedeutet Schärfe auch bei bewegten Motiven. Beide Vorteile sind allerdings kaum miteinander kombinierbar: Wer mit kleiner Blende fotografiert (viel Schärfentiefe), braucht eine lange Zeit (Verwacklungsgefahr); wer mit kurzer Zeit fotografiert (keine Bewegungsunschärfe), braucht eine große Blende (wenig Schärfentiefe). Für den fotografischen Alltag bietet sich daher an, beide Parameter etwa in der Mitte auszupegeln (z.B. Blende 8 und 1/125 sec. bei diffusem Tageslicht und 100er Film).

Die Sache wird noch komplizierter dadurch, daß die meisten Objektive aus physikalischen Gründen um mindestens zwei Blendenstufen abgeblendet werden sollten, um ihre optimale Leistung zu erreichen. Ein Objektiv, das eine Anfangsöffnung von 2,0 hat, liefert schon ab Blende 4 gute Bilder, während ein lichtschwaches Zoomobjektiv, das eine Anfangsöffnung von 5,6 aufweist, mindestens auf Blende 11 abgeblendet werden sollte. Dazwischen liegen Welten.

Bei Architekturaufnahmen sollte die Belichtungsmessung und -steuerung manuell vorgenommen werden. Es gibt kaum einen Grund, dafür eine Automatik zu bemühen. Das Haus läuft schließlich nicht weg. Auch dann, wenn es schnell gehen muß, ist die manuelle Nachführmessung kaum langsamer als sine automatische Belichtungssteuerung. Der Grund: Bei der manuellen Messung sucht sich der erfahrene Fotograf quasi automatisch ein Motivteil (oder ein Motiväquivalent), das einer mittleren Helligkeitsverteilung des Motivs entspricht. Den dafür abgelesenen Wert stellt er fest ein und kann dann den Bildaufbau für das eigentliche Foto ausrichten, ohne sich nochmals um die Belichtung kümmern zu müssen. Der Automatik-Fotograf hingegen muß bei jeder Aufnahme erneut überlegen, ob und wenn ja wie er korrigierend in die Automatik eingreift.
 
 

How to take a photo - Praxis mit dem Kleinbild-Shiftobjektiv

(hier am Beispiel Nikon FE mit Nikkor PC 3,5/28)
 
 

Die meisten Shiftobjektive haben aus konstruktiven Gründen keine Springblende. Das heißt, die Belichtungsmessung erfolgt bei abgeblendetem Obektiv mit Arbeitsblende - die Kamera stellt sich automatisch darauf ein. In der Praxis bedeutet das: Der Sucher wird umso dunkler, je weiter man abblendet. Der gleiche Effekt läßt sich bei einem normalen Objektiv zur optischen Schärfentiefenkontrolle simulierern, indem man den entsprechenden Hebel an der Kamera am Objektivansatz drückt.

Das Objektiv hat zwei Blendenringe: Einen echten zur tatsächlichen Beeinflussung der Blende und davor einen rastenden Vorwahlring. Nur ersterer ist in der Praxis von Belang; letzterer sollte bei Freihandaufnahmen immer auf 22 stehen. Die Erfahrung zeigt, daß auch bei Abblenden auf Arbeitsblende 8 oder 11 trotz der Sucherverdunklung eine ausreichend genaue Motivbetrachtung möglich ist. Daher ist ein "blindes" Abblenden auf den vorgewählten Wert, das der Vorwahlring ermöglichen soll, entbehrlich.

Die oberste Regel ist, die Kamera gerade auszurichten. Zur Kontrolle im Sucher müssen daher alle senkrechten Linien (nicht nur auf einer Seite!) senkrecht ausgerichtet werden; dabei hilft das Raster auf der Gitter-Einstellscheibe. Das ist nicht ganz einfach, weil die Kamera in zwei Achsen gleichzeitig ausgepegelt werden muß, läßt sich aber mit etwas Übung auch ohne Stativ machen. Waagerechte Linien können - je nach Bildgestaltung - durchaus diagonal durchs Bild schießen; eine absolut zentriert frontale Einstellung (mit waagerechten Waagerechten) sollte allerdings immer auch mit aufgenommen werden.

Der Sucherausschnitt der FE zeigt etwa 92% des tatsächlichen Bildes; d.h. man kann ohne Reserve mit dem Motiv bis ganz an den Rand gehen. Die 92% entsprechen etwa dem gerahmten Dia. (Eine reine Profikamera wie die F3 zeigt 100%, was bei der Diaprojektion abgeschnittene Motivteile bedeutet.)

Nikon gibt bestimmte Grenzen für die Shifthöhe vor; diese Zahlen (in mm) sind auf dem Objektiv eingraviert. Im Querformat ist die volle Höhe von 11 mm erlaubt, im Hochformat nur 8 mm. Aus Erfahrung läßt sich sagen, daß im Prinzip auch im Hochformat die volle Höhe ausnutzbar ist, allerdings mit dem Nachteil, daß Unschärfen und Lichtabfall in den oberen Bildecken vorkommen können - und vor allem eine unschöne Verzeichnung (wellenförmige oder gekurvte Geraden am Bildrand). Wenn kein bildwichtiges Motivteil in den oberen Ecken liegt, kann also durchaus der volle Verstellweg ausgenutzt werden (z.B. Turm in Bildmitte).

Die Entfernungseinstellung steht bei Architekturaufnahmen mit Weitwinkelobjektiven meistens standardmäßig auf unendlich - der Fokussierring verstellt sich häufig unbeabsichtigt und vor allen Dingen unbemerkt und muß daher vor jeder Aufnahme kontrolliert werden.
 
 

Zusammenfassung der Arbeitsschritte:

- Motivwahl durch Standortwahl und probeweises "Shiften" des Objektivs bis zum gewünschten Bildeffekt

- Zurückschieben des Objektivs auf Nullstellung

- ggfs. Entfernungseinstellung

- manuelle TTL-Belichtungsmessung auf ein Grauwertäquivalent, ggfs. Lichtmessung mit externem Beli

- Nachführmessung durch Schließen der Arbeitsblende (und ggfs. Veränderung der Zeit)

- erneutes Verschieben des Objektivs bis zum gewünschten Bildeffekt; Motivkontrolle bei Arbeitsblende

- Auslösen ;-)
 
 

Copyright Benedikt Hotze, 6. 1. 1999


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