hotze.net


Laudatio zur AMM-Masterthesis-Feier

FH Bochum, 16. 9. 2005

Trau keinem über 40

 

Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, dass in deutschen Architekturbüros kein Architekt über 40 arbeitet? Jedenfalls keiner, der nicht Inhaber, Partner, Büroleiter, oder – sagen wir – gestandenes Faktotum mit Nischenaufgabe wie Bauleitung oder AVA wäre?

Es gibt in einem normalen Planungsbüro viele, viele Indianer – alle unter 40 –, aber nur einige wenige Häuptlinge, die ihr ergrautes Haar dort auch diesseits dieser unsichtbaren Altersgrenze zeigen dürfen. Und das ist kein Phänomen der wirtschaftlichen Rezession; das war schon in besseren Zeiten so.

Die heute vierzigjährigen Architekten haben lange studiert. Sieben Jahre in der Regel, häufig acht oder neun  zumindest an der TU. Man arbeitete neben dem Studium in Architekturbüros; gerade nach dem Mauerfall gab es Jobs genug. Wettbewerbe, Entwurfsplanung – der Übergang von der Ausbildung zum Erwerbsleben war fließend. Dann endlich das Diplom in der Tasche. Wer nicht gerade Papas Büro in Flensburg oder Freilassing übernehmen musste, ging Anfang der neunziger Jahre nach Berlin. Dort – und in Hamburg, in Köln und Düsseldorf, in Frankfurt und den süddeutschen Boom-Städten – wurden damals Architekten händeringend gesucht.

Man war nun „fester freier Mitarbeiter“, vielleicht sogar Angestellter, und man machte das, was man schon kannte: Wettbewerbe, Entwurfsplanung, später auch Ausführungsplanung. Überstunden immer, sichere Jobs nimmer. Dennoch war es eine grandiose Zeit, man war ja jung, belastbar - und hatte zumeist keine familiären Verpflichtungen.

Bei manchem war es schon recht schnell vorbei: Nach zwei Jahren gab es dann hier noch mal einen Zeitvertrag, da eine freie Mitarbeit, dort einen kleinen Folgeauftrag, und immer lockte der Küchentisch zur Teilnahme an noch einem Wettbewerb „on top“. Manche konnten das durch eine halbe Assistentenstelle an der Uni abfedern, vielfach unter Inkaufnahme teurer Fernpendelei quer durch die Republik. Für über 35-Jährige gibt es allerdings an den meisten Unis keine neuen Assistentenstellen mehr.

Andere hatten etwas länger Glück; sie wuchsen in ihrem Büro in höhere Aufgaben, bis in die Projektleitung – dort eine Schule in Strausberg, da ein Umbau für eine Bundeseinrichtung in Berlin. Doch irgendwann kam auch hier das obligatorische Personalgespräch beim Chef, das üblicherweise mit den Worten „Du bist doch jetzt schon x oder y Jahre bei uns“ begann und mit der Frage „Kannst du dir nicht vorstellen, noch einmal etwas anderes zu machen“ endete. Rauswurf mit Ende 30, es trifft Projektleiter, Büroleiter, Familienväter sowieso. Die jungen Leute, die hier nachrücken sollen, kosten die Hälfte.

So werden in deutschen Architekturbüros ausgebildete Architekten gerade mal in einem Korridor von zehn Jahren ihres Lebensalters „verwertet“: etwa von 28 bis 38. Davor werden sie als Studenten und Berufsanfänger mit kleinen Löhnen angelernt, danach schlicht fallen gelassen. Für die Büros rechnet sich das. Viele Inhaber – freie Architekten mit sinkendem Auftragsvolumen und Existenzsorgen – sagen: Nur so geht es.

Und wo bleiben nun die Indianer jenseits der vierzig? Einige gehen ins Ausland – in London, Wien und Sydney soll es noch Jobs geben -, andere halten sich nolens volens als Selbständige irgendwie über Wasser, wieder andere verlassen das Berufsbild ganz. Vom Arbeitsamt finanzierte Umschulungen für Architekten sind seit Jahren gut besucht. Man wird Netzwerk-Administrator oder Web-Designer – und bald wieder arbeitslos. Und mancher träumt auf einmal vom sicheren Job im öffentlichen Dienst, den er damals so vehement abgelehnt hat. Aber zu spät: Ab 32 herrscht Aufnahmestopp fürs Referendariat

Wie sagte neulich ein Architekt, ein sehr guter Entwerfer mit Einser-Diplom: „Ich bin jetzt 40 und habe nichts. Kein Geld, kein Haus, keinen Job.“ Herzlichen Glückwunsch zum Vierzigsten.

 

Meine Damen und Herren,

den Text, den Sie gerade gehört haben, habe ich vor einem Jahr geschrieben. Vor einem Jahr – da bin ich selbst 40 geworden. Anlass für eine kleine Reflexion über ein Thema, das jedem Architekten einleuchtet, aber bislang nicht in dieser Deutlichkeit als These formuliert wurde.

Ich hatte den Text für die Bauwelt geschrieben, doch er blieb bislang unveröffentlicht. Die Kollegen der Bauwelt haben ihn, nach einer Weile des Herumdrucksens, abgelehnt: zu pessimistisch. Wie kann ich es also wagen, Ihnen diese kleine Betrachtung heute anlässlich Ihrer Feier, eines frohen und nach vorn orientierten Anlasses, vorzutragen?

Zum einen, weil Jan Krause sagte, dass dieser Studiengang praxisorientiert sei und wir deswegen die Sorgen der Praxis nicht ignorieren sollten. Zum anderen, weil ich glaube, dass Sie – und damit wende ich mich an die Absolventen, die heute Ihre Masterzeugnisse erhalten – den Fehler nicht gemacht haben, der zu den genannten Sorgen und Problemen führt.

Sie haben Ihr Studium, Ihre Ausbildung breiter angelegt. Sie haben nach dem berufsqualifizierenden Abschluss, unserem guten, alten Diplom, nicht gewartet, was da wohl kommt, sondern Sie haben noch einen postgraduierten Masterstudiengang angehängt. Viele von Ihnen sind parallel dazu ganz oder teilweise im Beruf geblieben, ob als Selbständiger, als Angestellter oder als „Freier Mitarbeiter“. Sie haben Ihr Wissen und Ihre Kenntnisse erweitert in einen Bereich hinein, der als zukunftsträchtig gelten darf: Sie haben die Architektur um Medien-Management erweitert.

Sie haben Kompetenz im Umgang mit den Medien erworben – für den Fall, dass Sie im Berufsbild des Architekten arbeiten wollen und so darauf angewiesen sind, die Medien auf Ihre Arbeit aufmerksam zu machen – und Sie haben Kompetenz im Machen von Medien erworben – für den Fall, dass Sie selber Public Relations im Dienste anderer betreiben wollen.

Man hat mir gesagt, dass sich diese beiden Gruppen die Waage halten, dass etwa die Hälfte als Architekten arbeiten wird und die andere Hälfte neue Chancen im Bereich PR und Marketing suchen wird. Wie auch immer Sie sich entscheiden: Sie haben hier – hoffentlich – nicht nur Kenntnisse, sondern auch eine Denkweise erworben, die Ihnen so oder so nützen wird.

Die Liste der Themen Ihrer Masterthesen ist äußerst breit gefächert – Sie alle kennen die Themen, Sie haben in den letzten beiden Tagen hier im Saal gesessen. Hier sind Dinge geschehen, die der klassische Architekturbetrieb als ungeheuerlich empfinden muss: Sie haben Consulting-Konzepte ersonnen, SWOT-Analysen angestrengt, Marketingmaßnahmen geplant, Mass-Customization-Maschinen programmiert, städtebauliche Strategien verkauft, Netzwerke gesponnen, Imagekampagnen entworfen und methodisch saubere Nutzerbefragungen durchgeführt. Architektur ist für Sie keine Kunst, sondern eine Dienstleistung; das Architekturbüro kein abgehobenes Atelier, sondern ein Unternehmen, das am Markt agiert. Damit sind Sie grundsätzlich auf dem richtigen Weg. Sie verlassen sich nicht allein auf die klassischen Stärken des Architekten im Entwurf – wie das enden kann, haben Sie eingangs ja gehört.

Aber natürlich besteht auch die Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen. Da kann man manchmal durchaus ins Schmunzeln kommen, wenn die Instrumente und das Vokabular modernen Consultings und Marketings allzu unreflektiert auf das Architekturbüro angewandt werden. Das kann schnell etwas überkandidelt wirken – aber ich denke, dass die meisten von Ihnen genug Bodenhaftung besitzen, um hier nicht ins andere Extrem zu verfallen.

Als ich zum diesjährigen AMM-Symposium im April den ersten Kontakt mit Ihrem Jahrgang hatte, war ich gleich begeistert von dieser Truppe. Freundlich, aufmerksam und überaus professionell – aber nicht mit der plappernden Unterwürfigkeit von Callcenter-Marionetten – bin ich hier empfangen und betreut worden. Das Symposium, sicher der Höhepunkt Ihres Studienjahrs – war Ihr Werk. Von der Konzeption, Durchführung, selbst der Moderation auf dem Podium  bis zur Nachbearbeitung kam alles initiativ und produktiv aus Ihrer Mitte. Ein großes Lob noch einmal nachträglich. Und der neue Jahrgang steht ja schon bereit, er organisiert bereits im Hintergrund diese Tage rund um die Masterthesis-Kommission und -Feier. Auch hier habe ich bereits wieder sehr angenehme Erfahrungen machen können.

Woher kommt das? Warum haben wir hier eine so ungewöhnlich begabte und interessierte Truppe? Die Antwort scheint mir einfach: Hier wird nicht jeder zugelassen, der „rein“ will, sondern es findet ein qualifiziertes Auswahl- und Bewerbungsverfahren statt. Hier kann in akademischer Freiheit die Eignung von Menschen für eine bestimmte Ausbildung geprüft werden. Hier will man Klasse produzieren statt Masse zu verwalten.

Natürlich liegt es immer an der Motivation des Einzelnen, ob aus ihm etwas wird. Das ist in einem kleinen, feinen Masterkurs wie hier nicht anders als an der Massenhochschule. Aber die Voraussetzungen sind hier besser, die eigenen Talente zu entdecken und zum Klingen zu bringen.

Ist das nicht unsozial? Denn hier werden ja Studiengebühren verlangt. Schneiden wir damit die sozial Schwachen von den Bildungschancen aus?

Nein. Erstens werden Studiengebühren über kurz oder lang überall kommen – damit herrscht dann wieder Chancengleichheit – und zum anderen wird hierzulande ein System von Stipendien und Darlehen aufgebaut, das – wie in Amerika – auch weniger Begüterten das Studium ermöglicht. Die Banken legen bereits erste derartige Produkte auf.

Und das Beste an Studiengebühren: Die Hochschulen stehen dann im Wettbewerb um die Gunst der zahlenden Kundschaft. Ausreden wie Personalmangel und Raumnot zählen dann nicht mehr als Entschuldigung für indiskutable Zustände in der Lehre. Die Studenten können eine effiziente Betreuung einfordern, und wenn sie die nicht bekommen, ziehen sie weiter an andere Einrichtungen und legen ihr Geld im nächsten Semester dort an. Zum ersten Mal ist eine Anspruchshaltung an „die da oben“ gerechtfertigt, denn man zahlt schließlich für eine Leistung. Diese ist einklagbar geworden.

Auch dieser Studiengang, sei er noch so sehr mit dem Charme des Pionierprojekts versehen, muss und wird sich dem Votum und womöglich der Kritik der Studenten stellen.

Aus Sympathie für diesen Studienjahrgang habe ich gern zugesagt, hier nach meiner damaligen Teilnahme an dem Symposium erneut nach Bochum zu reisen, an Ihren Masterthesis-Kommissionen teilzunehmen und den heutigen kleinen Vortrag zu halten.

Zwei von Ihnen hatten mich gleich nach dem Symposium angefragt, ob ich ihre Thesis als Co-Referent betreuen und prüfen könnte. Das habe ich gerne zugesagt und wurde nicht enttäuscht: Hier ist mir eine Menge an Kreativität, positivem Denken, Intelligenz und, ja, auch Herzenswärme entgegengeschlagen, so dass ich keinerlei Sorgen habe, dass nicht nur meine beiden Schützlinge, sondern auch alle ihre Kommilitonen ihren Weg professionell und erfolgreich machen werden – auch über das kritische vierzigste Jahr hinaus.

Laudatio, gehalten am 16. 9. 2005 in Bochum

1. Abschnitt daraufhin veröffentlicht in "ach – Ansichten zur Architektur" (Hg. Arno Lederer)


		


Copyright Benedikt Hotze, 2005


home   e-mail/ contact